Kreativität in der Psychotherapie: Unterschätzte Ansätze

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In Deutschland werden nur vier verschiedene Psychotherapieverfahren von den gesetzlichen Krankenkassen honoriert. Dass neben diesen sog. Richtlinienverfahren auch zahlreiche Methoden existieren, die auf kreative Elemente zurückgreifen und ebenfalls wirksam sind, ist weithin unbekannt. Zumindest im stationären Kontext wird heute jedoch bereits teilweise unterstützend zur Psychotherapie auf derartige Angebote zurückgegriffen.

Was sind Kreative Therapien?

Wie etwa Ralf Matti Jäger und David Martin im Deutschen Ärzteblatt feststellen, herrscht im Bereich der Kreativen Therapien eine enorme begriffliche Unklarheit. So ist häufig selbst im professionellen Kontext nicht klar, was mit Kreativtherapie, Kreativer Therapie oder Kunsttherapie genau gemeint ist (Vgl. Jäger, Ralf Matti; Martin, David: „Kunsttherapie. Alle Künste unter einem Begriff“. In: Deutsches Ärzteblatt. PP 19, Ausgabe August 2020. S. 354.). Der Begriff der Kreativen oder Künstlerischen Therapien eignet sich als Oberbegriff besonders gut, da er aufgrund der Pluralform darauf verweist, dass es sich nicht um eine standardisierte Therapie, sondern vielmehr um eine Vielzahl therapeutischer Methoden handelt, die ihre Gemeinsamkeit darin finden, dass sie auf Kreativität setzen.

Das gemeinsame Ziel dieser im Detail sehr unterschiedlichen Verfahren besteht darin, den Ausdruck inneren Erlebens zu fördern. Hierzu gibt es unterschiedliche theoretische Ansätze; im Zentrum steht dabei in der Regel die Kunst als Ausdrucksform: Im Malen, Musizieren, Schreiben, Tanzen oder freien Improvisieren sollen Dinge, die anders nicht zum Ausdruck gebracht werden können, nach außen getragen werden. Doch damit nicht genug: Künstlerische Therapien sollen darüber hinaus zahlreichen weiteren Zielen dienen. So schult bildnerisches Tätigsein etwa die Wahrnehmung, während im Tanz das eigene Körpergefühl verbessert wird. Hinzu kommt der Umstand, dass in der kreativen Tätigkeit Ressourcen entdeckt werden können, die den Patientinnen und Patienten bisher nicht zugänglich waren. Sie erwerben nicht nur eine weitere (oder vielleicht erste) Möglichkeit, Emotionen und Erleben auszudrücken und zu einer produktiven Auseinandersetzung zu finden, sondern erfahren auch Selbstwirksamkeit – sie lernen, dass sie etwas schaffen, dass sie Probleme lösen und Werke oder Darstellungen eigenständig vollenden können.

Wirken Kreative Therapien?

Die Forschungslage zu den meisten Kreativen bzw. Künstlerischen Therapien ist eindeutig. So belegen etwa zahlreiche Studien, dass Tanz und Musik therapeutisch wirksam sind. So sind musik- und tanztherapeutische Interventionen etwa bei Depression und stressbedingten psychischen Problemen wirksam. Eine Studie zeigt zudem, dass bestimmte tanz- und musiktherapeutische Interventionen dem kognitiven Verfall bei der Alzheimer-Demenz entgegenwirken. Auch zur Kunsttherapie, die auf Mittel der Bildenden Kunst setzt, gibt es zahlreiche Studien, die eine Wirksamkeit belegen. Geforscht wurde hier verstärkt zur Wirksamkeit bei Krebspatientinnen und -patienten mit psychischen Problemen, aber auch zum Einsatz bei davon unabhängiger Depression.

Auch in den S3-Leitlinien werden Künstlerische Therapien, zu denen dort Musiktherapie, Kunsttherapie, Dramatherapie und Tanztherapie gezählt werden, als bei psychischen Erkrankungen wirksam beschrieben. Neben der Nennung zahlreicher einzelner Studien zu verschiedenen Verfahren werden als übergreifende Wirkfaktoren unter anderem die therapeutische Beziehung, die Rahmenbedingungen der Therapie, sowie Ressourcenaktivierung und Problembewältigung beschrieben. (Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (Hrsg.). (2018): S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. 2. Auflage. S. 254.)

Die Situation der Künstlerischen Therapien in Deutschland

Trotz der vorliegenden Evidenz kommen die gesetzlichen Krankenkassen im ambulanten Bereich nicht für die Kosten, die durch Künstlerische Therapien entstehen, auf. Im stationären Bereich werden jedoch regelmäßig Kreative Therapien angeboten, die begleitend zur Psychotherapie und/oder zur psychopharmakologischen Behandlung zum Einsatz kommen. Besonders Kunst- und Musiktherapie sind im stationären Setting verbreitet.